”We now have armies of specialists studying bits and pieces of the whole as if these were separable. In reality it is impossible to disconnect the threads that bind us into larger wholes up to that one great community of the ecosphere.“ - David W. Orr
Die Idee hinter dem Austausch
Unser Projekt „In guter Gesellschaft“ wurde eingeladen an einem internationalen Austausch zwischen den Städten Marseille, Hamburg, Tbilisi und St. Petersburg teilzunehmen. Der Zweck des Austausches war das Teilen von Wissen und Fähigkeiten zwischen den teilnehmenden Initiativen, Organisationen und Projekten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Alle waren Teil einer Graswurzelbewegung, bedeutet alle Teilnehmenden haben sich dafür entschieden Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung oder Ressourcenmangel auf lokaler Ebene selber in die Hand zu nehmen, um global etwas zu verändern. Wir stehen vor einer Vielzahl von globalen Problemen und wir können diese nur mit einer Vielzahl von kleinen und lokalen Lösungen beheben. Umso schöner, dass wir Teil einer Begegnung von über 15 verschiedenen Projekten sein durften, die alle vor unterschiedlichen und dennoch ähnlichen Herausforderungen stehen.
Als Co-Gründerin der guten Gesellschaft und Referentin für Nachhaltigkeit durfte ich die Gruppe in Hamburg bei uns im Café in Empfang nehmen und im Nachhinein mit ihnen gemeinsam nach Marseille reisen. Aus Hamburg war nicht nur ich Teil der Gruppe, es waren auch andere Initiativen dabei: Mitglieder des Kultur und Energiebunkers in Altona (Kebap) und von Prescius Plastic in der offenen Werkstatt von Insel e.V., die Initiatoren von Recycle Hero und dem neuen Forschungslabor zum Thema Kleidung House of All. Es war an sich schon fantastisch die lokalen Initiativen besser kennenzulernen, dennoch hat die gemeinsame Reise nach Marseille alle meine Erwartungen übertroffen.
Herausforderungen und Ideen in Marseille
Wir haben für 4 Tage in einer internationalen Wohngemeinschaft gelebt. Bestehend aus über 15 verschiedenen Projektinitiator:innen, darunter die My cup please Bewegung – die sich für wiederverwendbare Coffee-to-go Becher in Russland einsetzten, Eburet Studio – die aus recyceltem Kunstoff Einrichtungen herstellen, Evgeny – Organic Punk – der im Bereich regenerative und urbane Landwirtschaft forscht und Zero Effect – die Georgische Zero-Waste Initiative, mit eigenem Shop in Tbilisi.
Die Tage waren vom ersten Kaffee morgens bis in den späten Abend gefüllt mit Gesprächen, Ideen, Fragen und Antworten. Dazwischen sind wir gelaufen. Durch ganz Marseille, auf und ab. Immer angeführt Alex, Mitglied der Initiative 1 Déchet par jour (1 Abfall pro Tag) und Yasmin von Pirates du Plastic. Sie haben uns an Orte geführt, die man als Tourist:in in Marseille nicht direkt besuchen würde. Denn Marseille ist Frankreichs Problem-Stadt, mit der höchsten Armut-, Drogen- und Kriminalitätsrate. Umso spannender sind die Ideen und Initiativen der Marseiller um dem entgegenzuwirken.
Talus ist ein enormer urbaner Garten auf einer brachliegenden Fläche, hat 4.000 Mitglieder und ist ein Ort für ökologischen und kulturellen Austausch.
Das Unternehmen FASK Akademie, bildet Jugendliche zu Näher:innen aus, die aus dem Schulsystem gefallen sind und in schwieriger Umgebung leben. Zudem bringt FASK die Textilindustrie zurück nach Frankreich und unterstützt somit die lokale Herstellung von Kleidung.
Recyclerie Sportive ist ein 2-Hand Sportgeschäft für Menschen mit wenig Einkommen und/oder ökologischem Bewusstsein. Einkaufen darf hier jede:r. Zudem gibt es eine Selbsthilfewerkstatt für Fahrräder.
Aber am meisten habe ich mich über den Besuch des Le Plan de A à Z gefreut. Ein kürzlich eröffnetes Zero-Waste Café, das aus einer solidarischen Küche gegründet wurde. In der Marseiller Innenstadt kann man hier selbstgemachte Limonaden trinken und ein Gericht zu Mittag essen das aus gerettet Gemüse gekocht wird. Definitiv einen Besuch wert, wenn man nach Marseille kommt.
November – Reise nach Georgien
Anfang November durfte sich unsere internationale Nachhaltigkeitsgruppe noch einmal begegnen, diesmal in Tbilisi – Georgien. Aus Hamburg mit dabei waren Nadine von Recycle Hero, Daniel von #iamplasticfree, Saskia von insel e.V., Sarah von House of all. Aus Marseille kamen Teo von Merterre, Anne-Christelle und Naya von 1 Dechet par Jour und Yasmine von Pirates du Plastic. Zu den St.Petersburger Projekten zählten My Cup Please, No Plastic it´s fantastic, Ecolabel, Organic Punk, Pererabotkinskaya und Ecojara.
Die Organisation in Tbilisi haben Mari und Tatiana von dem Projekt Parki ar Minda übernommen. Die beiden haben uns nicht nur mit genialen Georgischen Projekten in Berührung gebracht sondern uns auch in die turbulente und wunderschöne Atmosphäre der Hauptstadt mitgenommen. Die Tage waren ausgefüllt von gutem Essen, engagierten jungen Menschen, dem famosen georgischen Weinen und den glücklichsten und dicksten Strassenhunden die wir je gesehen haben.
Mehr als zuvor war hier das Thema „Russland“ im Vordergrund. Georgien ist ähnlich wie die Ukraine, seit 2008 zu 30% von Russland okkupiert und Putins Politik daher tief verhasst. Es kommt immer wieder zu Todesopfern an der Besatzungsgrenze. Mittlerweile leben viele geflüchtete Russ:innen, Ukrainer:innen und georgische IDPs (Internally Displaced Person) gemeinsam in Tbilisi und engagieren sich in vielfältigen nachhaltigen Projekten. Unsere Freund:innen aus St.Petersburg positionieren sich alle klar gegen den Krieg und hatten enorme Freude an der omnipräsenten Anti-Putin Street Art in der Stadt.
Georgien und Nachhaltigkeit
Die Hauptprobleme im Bereich Umweltschutz in Georgien sind fehlende Recyclingsysteme und enorme Luft- und Umweltverschmutzung, vor allem in den Industriegebieten. Die Politik hinkt bei den Themen hinterher und ist durch die angespannte Lage zwischen Europa und Russland, mehr mit außenpolitischen Themen beschäftigt.
Über ein Viertel der 3.7 Millionen Georgier lebt in der Hauptstadt Tbilisi. Viele der jungen Leute engagieren sich in kreativen und nachhaltigen Projekten und machen Tbilisi damit zu einer Stadt voller bunter Subkultur und veganer Cafés. Die jungen Menschen hier nehmen die Umweltprobleme selbst in die Hand und wir haben einige von Ihnen kennengelernt.
Das Ausmaß der Umweltverschmutzung in Georgien wurde uns in Rustavi bewusst. Hier sind Böden und Luft so sehr von der Industrie kontaminiert, dass es uns teilweise das Atmen schwer fiel. Aber Data, ein junger Kameramann aus Rustavi, will das ändern. Mit seinem Projekt Napirze macht er gemeinsam mit Freiwilligen Rustavis Überschwemmungsgebiet zum Biosphärenreservat und will damit die Luft-, Boden- und Wasserqualität vor Ort verbessern.
In Rustavi haben wir auch Polyvim.LLC besucht. Dort konnten wir uns den gesamten Prozess von PET Recycling ansehen, was spannend war, aber auch sehr ernüchternd. Die Mengen an Kunststoffverpackungen waren enorm und nur wenig kann recycelt werden. Das hat viele von uns sehr betroffen, sogar wütend gemacht und uns das globale Problem von Verpackungsabfällen deutlich vor Augen geführt.
Dass recycling auch im kleinem Maßstab funktioniert, zeigte uns Tene USB. Die Plastikteile für die lokal produzierten USB-Kabel von Tene USB werden aus geschredderten und eingeschmolzenen Plastikdeckeln hergestellt. Zudem arbeitet das kleine Unternehmen mit innergeorgischen Geflüchteten (IDP´- Internally Displaced People) zusammen und mit selbsterzeugtem Solarstrom.
Das Müllproblem ist in Georgien generell viel sichtbarer als in Deutschland. Wir haben mit den freiwilligen Helfer:innen von Tbilisi Clean-ups und Sadagi einen riesigen Park aufgeräumt, in dem es keinen einzigen Mülleimer gab. Die fast 100 gesammelten Müllsäcke wurden von Parki Ar Minda´s Eco-Taxi abgeholt. Parki Ar Minda („Ich will keine Plastiktüte“) wurde von Mariam und Tatiana gegründet und bietet einen Abholservice und Sammelstellen für recyclebare Abfälle an. Um das Abfallproblem zu reduzieren arbeitet Parki Ar Minda eng mit Zero-Effect zusammen, Georgiens bislang einzigem Zero-Waste Shop, der auch regelmäßig Tauschparties und Workshops organisiert.
Ich war generell sehr beeindruckt von der engen Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen allen Projekten und Menschen die wir in der Woche kennengelernt haben. Alle kennen sich, alle unterstützen sich. Mariam und Tatiana haben in der Woche ein Green Dating Event in der Fabrika organisiert, bei dem wir unsere internationalen Projekte vorgestellt haben. Das Engagement hat die Aufmerksamkeit der georgischen Presse bekommen, so dass wir am Tag danach im georgischen Frühstücksfernsehen bei Formula zu sehen waren und in Georgia Today über uns berichtet wurde.
Diese Art von Gemeinschaft und Zusammenarbeit wünsche ich mir auch für Hamburg. Ich bin nach diesen Reisen auf jeden Fall voller Motivation unser Projekt „In guter Gesellschaft“ und das Thema Zero-Waste weiter am laufen zu halten und noch mehr nach vorne zu treiben.
An dieser Stelle großen Dank an Regine Eickhoff-Jung, von der Deutsch-Russischen Gesellschaft e.V.. Sie organisiert seit zwei Jahren den Austausch zwischen Akteur:innen der Nachhaltigkeit aus Hamburg, Marseille, St.Petersburg und auch Tbilisi. „Die Deutsch-Russische Gesellschaft in Hamburg e.V. setzt sich seit 47 Jahren dafür ein, dass sich die Menschen aus (…) beiden Ländern persönlich begegnen und kennenlernen und so freundschaftliche Beziehungen entwickeln können.“ Den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt die Gesellschaft scharf und setzt sich für eine diplomatische Lösung des Konfliktes ein.
Gefördert wurde der Austausch vom auswärtigem Amt, allerdings bekamen wir dieses Jahr aufgrund des Krieges nur wenig Aufmerksamkeit. Wir, die Teilnehmenden, sind aber sehr dankbar für diese Begegnung. Wir haben nicht nur berufliche Beziehungen knüpfen können, sondern auch neue Freunde gewonnen. Wir alle arbeiten jeden Tag daran die globalen Umweltprobleme zu bekämpfen und das Leben der Menschen auf diesem Planeten zu erhalten. Wir alle sind Bewohner dieses einen Planeten und keine Grenzen können uns daran hindern für unser gemeinsames Zuhause einzustehen und zusammen gegen die Klimakatastrophe vorzugehen. Wir lagen uns alle in den Armen am letzten Abend, nicht wissend wann wir uns wieder begegnen können und unter welchen Umständen. Es ist wichtiger denn je, sich jetzt für Frieden zwischen Ländern einzusetzen, denn wir stehen vor weit aus größeren Problemen, die jeden von uns betreffen.