Wer sind wir als Gesellschaft? Wie stellen wir uns unsere Zukunft vor? Denken wir als Gemeinschaft? Denken wir nur an unsere eigene Zukunft? Haben unsere Kinder eine Zukunft? Warum zerstören wir diese? Warum brauchen wir jedes Jahr ein neues Handy? Was passiert mit den alten Handys? Wie viel Konsum brauchen wir und wie viel davon ist Gier? Wie sehr kontrolliert uns die Werbung? Wie sehr kontrollieren uns die Medien? Haben wir einen freien Willen? Warum hat die Menschheit über 307 Billionen Dollar Schulden? Wem schulden wir das Geld? Werden wir es jemals zurückzahlen? Sollen wir uns darüber Sorgen machen? Machen wir uns zu viele Sorgen? Oder nicht genug? Wer ist verantwortlich?
»Ich sitze auf dem Rücken eines Mannes, würge ihn und lasse mich von ihm tragen, und dennoch versichere ich mir und anderen, dass es mir sehr leid tut und ich möchte ihn mit allen Mitteln erleichtern, außer von seinem Rücken zu steigen.«1
- Leo Tolstoi
Wie können wir den Wohlstand aufgeben, für den wir so hart gearbeitet haben? Haben wir tatsächlich hart gearbeitet? Was machen wir eigentlich? Was ist Wohlstand für uns? Ist Wohlstand Wohlbefinden? Was ist wohlbefinden? Wurden menschliche Werte durch wirtschaftliche Werte ersetz?
Die vorherrschende Annahme betrachtet „Wohlstand“ als materiellen Wohlstand. Dieses Axiom entstand in den 1950er Jahren, mit der Notwendigkeit für Wirtschaftswachstum in den Nachkriegsjahren. Seitdem wird versucht Konsum stetig zu steigern durch Werbung, Medien und manipulative Strategien. Mit Erfolg. Materieller Konsum ist für uns ein Grundbedürfnis (3) und wir glauben, dass nur „haben“ unser „sein“ lebenswert macht.
Wirtschaftliche Werte sind in uns Menschen so sehr verankert, dass wir Konsum für ein grundlegendes menschliches Merkmal halten. Es gibt verschiedene Faktoren die uns beeinflussen: Kultur, Schule, Medien, Politik, Industrie und unser soziales Umfeld. Sie alle prägen uns als Individuen, unseren Verstand und unsere Verhaltensweisen. Einen Faktor allein dafür verantwortlich zu machen, würde letztlich nicht verändern wer wir als Gemeinschaft sind. Denn alle diese Faktoren haben einen unvorhersehbaren Einfluss auf uns. Dieser Fortschritt hat uns definitiv zu einem Punkt gebracht, der als „Hyper-Konsum-Kultur“ bezeichnet wird.
Wir wünschen uns Wirtschaftswachstum und materiellen Wohlstand für alle. Leider ist das eine unmögliche Aufgabe, denn um der ganzen Menschheit die Verbrauchsstandards des globalen Nordens zu ermöglichen, bräuchten wir die Ressourcen von mindestens fünf Planeten. Satish Kumar, Herausgeber des „The Ecologist“ Magazins rät deswegen, dass wir uns von Wohlstand verabschieden müssen, wenn wir uns von Armut verabschieden wollen. Denn »hohe Berge schaffen tiefe Täler«.2 Aber geht das?
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) galt lange Zeit als Indikator für den Lebensstandard eines Landes. Je höher das BIP, desto höher der Lebensstandard und auch das Wohlbefinden, denn alle Bürger:innen profitieren von einer gesteigerten Wirtschaftsproduktion ihres Landes. Jedoch haben Untersuchungen gezeigt, dass das BIP eines Landes wenig Einfluss hat auf das Wohlbefinden seiner Bürger:innen.
Laut der „World Values Survey Association“ bringt der Übergang von einer Gesellschaft der Knappheit zu einer Gesellschaft der Sicherheit eine enorme Steigerung des subjektiven Wohlbefindens mit sich.
Dann aber gibt es eine Schwelle, ab der Wirtschaftswachstum das subjektive Wohlbefinden nicht mehr beeinflußt. Das ist mit der Tatsache verbunden, dass z.B. Hunger auf dieser Ebene für die meisten Menschen kein wirkliches Problem mehr darstellt. Das Überleben wird in einer Gesellschaft der Sicherheit für selbstverständlich gehalten, es bilden sich zunehmend Materialisten und Postmaterialisten. (4)
Das Sustainable Development Solutions Network hat gemeinsam mit dem Gallup World Poll eine Studie entwickelt, die Wohlergehen nach Ländern misst. Diese wird als „World Happiness Report“ bezeichnet. Es werden globale Daten verwendet um einen Index zu erstellen, aus dem hervorgeht in welchen Ländern die Einwohner:innen ein glückliches Leben führen. Die 2023 veröffentlichte Studie zeigt, dass unter den Top 20 der glücklichsten Länder, nur sieben auch in den Top 20 der reichsten Länder auftauchen (Globales Ranking BIP 2022). Ganz oben im „World Happiness Report“ finden wir zunächst Finnland, Dänemark, als drittes Island, als viertes Israel und als fünftes die Niederlande. Deutschland, das viert reichste Land der Welt, ist auf Platz 16 zu finden. Die USA, das reichste Land der Welt laut BIP, liegen auf Platz 15.(5)
Zusammenfassend hängt unser Wohlbefinden also nicht von einem hohen Einkommen oder der Fähigkeit Geld auszugeben ab. Haben macht uns nicht glücklich, es geht vielmehr darum zu überleben. Denn die Studie belegt, dass in Staaten in denen besonderer Wert auf soziale Sicherheit gelegt wird, die Menschen glücklicher sind. Bedeutet, wenn die Grundbedürfnisse (Nahrung, Sicherheit, Gesundheit, Schutz, Freiheit, Bildung) befriedigt sind, die Anwohner:innen zufrieden sind. „Was den Schutz oder die Steigerung des Wohlergehens der Bürger betrifft, scheitern viele Staaten daran, einen wirksamen Sozialschutz bereitzustellen, die notwendige Infrastruktur aufzubauen und die Verfügbarkeit von Dienstleistungen wie allgemeiner Gesundheitsversorgung oder Grundbildung sicherzustellen.“ (5)
Unabhängig von staatlichen Strukturen, haben wir als Gesellschaft die Möglichkeit Zufriedenheit und Wohlergehen aufzubauen. Soziale Sicherheit und Wohlbefinden werden vor allem durch eine stabile Gemeinschaft erschaffen. Vertrauen, Hilfsbereitschaft und altruistisches Handeln können im Kleinen umgesetzt werden und uns mit Bedeutsamkeit und Zugehörigkeit erfüllen. Viel mehr als der Konsum von überflüßigen Dingen.
Daraus schließend haben wir die Möglichkeit, mit gerecht verteiltem Wohlstand zu leben, ohne die Ressourcen von vier weiteren Planeten zu verbrauchen. Zumal wir diese nicht haben.
»Es ist nicht der Reichtum, der der Befreiung im Wege steht, sondern die Bindung an den Reichtum; noch der Genuss von lustvollen Dinge, aber das Verlangen nach ihnen.« (6)
-E. F. Schumacher
1) L. Tolstoy in: „Small is beautiful: a study of economics as if people mattered“, E. F. Schumacher, Vintage, London, 1993, S. 182
2) „Grounded Economic Awareness: Ökonomisches Bewusstsein basierend auf ökologischen und ethischen Werten“, S. Kumar, Das Handbuch für Nachhaltigkeitskompetenz, University of Brighton
3) „The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York, 2002, S. 120
4) „Glückstrends in 24 Ländern: 1946-2006 “, Inglehart, Welzel und Foa, http://www.worldvaluessurvey.org/wvs/articles/folder_published/article_base_106, World Values Survey Association
5) World Happines Report 2023 https://happinessreport.s3.amazonaws.com/2023/WHR+23.pdf
6) „Small is beautiful: a study of economics as if people mattered“, E. F. Schumacher, Vintage, London, 1993, S. 42
Fotos: Alana Zubritz