DIE BIOPHILIE

Die Zerstörung unseres Zuhauses, von dem wir als Lebewesen abhängig sind, ist ein wesentlicher Grund, die Natur zu schützen. Ein anderer ist aber unsere emotionale und psychologische Abhängigkeit von der Natur.

Das Wesentliche an der Existenzdes Menschen ist ja, daß er sich über das Tierreich und seine instinktive Anpassung erhoben hat, daß er die Natur transzendiert hat, wenn er sie auch nie ganz verläßt. Er ist ein Teil von ihr und kann doch nicht in sie zurückkehren, nachdem er sich einmal von ihr losgerissen hat.“

– Erich Fromm (1)

Als Menschen haben wir uns aus der Natur entwickelt und streben nach dem Lebenden. Die »Liebe zum Leben oder zu lebenden Systemen« heißt Biophilie und wurde erstmals in den 1980er Jahren vom amerikanischen Biologen E. O. Wilson eingeführt. David Orr beschreibt Wilsons Idee: »Wir besitzen etwas, was Wilson Biophilie nennt, einen angeborenen Drang, sich anderen Lebensformen anzuschließen. Zunehmend wird die Hypothese der Biophilie dadurch gestützt, dass wir besser in Umgebungen passen die mehr und nicht weniger Natur haben (…). Wir sind sinnliche Wesen, die emotionale Bindungen an bestimmte Landschaften entwickeln.«(2) Bedingt durch kulturelle Veränderungen, die Digitalisierung und Beschleunigung entfernen wir uns immer weiter von unseren natürlichen Kreisläufen und Rhythmen – wir beschleunigen unsere Lebensgeschwindigkeit, wir sind Diktatoren und Opfer der Zeit zugleich, ständigen auf der Flucht, im ständigen Wandel und in ständiger Aufregung. Dies verursacht Stress. Darüber hinaus versuchen wir das Bedürfnis nach Natur, nach den natürlichen Lebewesen und Kreisläufen, durch neue Ablenkungen und Unterhaltungen zu befriedigen.

Dieses Verhalten nennt der Philosophieprofessor Bruce Wilshire »den Entzug der Ekstase«. Dieser Entzug findet seinen Ursprung in unserer Entfremdung von der Natur, denn diese hat uns über Millionen von Jahren geformt. David Orr beschreibt zudem, dass wir Fremde sind in einer Welt, die wir selbst geschaffen haben, nachdem wir uns von den Kreisläufen der Natur abgeschnitten haben.

Unsere Antwort darauf sind Ablenkungen und Suchtverhalten (…). Zudem leugnen wir, dass wir eigens verantwortlich sind für diesen Verlust, der Körper, Geist und Seele natürlich nährt.(3) Natur ist wichtig für uns, um uns selbst im Gleichgewicht zu halten. Alte Kulturen haben dies in ihrer Weisheit bereits anerkannt, denn unser gesamter Organismus entspannt sich schon nach 5 Minuten in einer natürlichen Umgebung, wie beispielsweise im Wald. Der Blutdruck sinkt, die Stimmung verbessert sich und das Selbstwertgefühl steigt.(4)

Der Mangel an Natur in unserem Leben ist ein Grund für die große Menge an ablenkenden Verhaltensweisen, die wir entwickelt haben. Jede Art von Unterhaltung, die wir aktiv und passiv konsumieren, ersetzt das Bedürfnis nach Vereinigung und Verbindung, die auf natürliche Weise unseren Enthusiasmus nährt. Außerdem sind die Menschen auf der Suche nach dem höherem Sinn, einem höheren Bedürfnis, das unser Leben erfüllt. Dies macht sich in unserem unendlichen Streben nach Wissen bemerkbar. Wir suchen nach dem tieferen Verständnis, der tieferen Bedeutung unseres Seins in dieser Welt. Wir brauchen etwas, an das wir glauben können, etwas Größeres als wir. Orr erklärt, dass wir deswegen Systeme der Zugehörigkeit zu etwas Größerem schaffen oder entdecken. Jeder „-ismus“ (z. B. Nationalismus, Kommunismus, Kapitalismus, Konsumismus), den wir in unserer Gesellschaft erschaffen, ist ein Ersatz für Religion.(5) Tatsächlich wird „Religion“ etymologisch auch als „wieder verbinden“ oder „wieder vereinen“ gedeutet (lateinisch religare= zurückbinden). Die Menschheit ist auf der Suche nach der Bedeutung ihres In-der-Welt-Seins. Die Gesellschaft wiederrum hat Religion und Spiritualität großteils aufgegeben, um an die Wissenschaft zu glauben und die Wirtschaft anzubeten. Im Zuge dessen haben wir auch unsere emotionale Beziehung zur Natur aufgegeben. Nur wenn wir unseren Blick wieder öffnen und die beiden großen W´s (Wirtschaft und Wissenschaft) wieder in den Hintergrund treten lassen, können wir einen Ausweg aus der ökologischen und sozialen Krise finden. Nur wenn wir anfangen, die Wiederverbindung zu uns selbst, unseren Mitmenschen und zur Natur zu fördern, werden wir alle Ablenkungen vergessen, denen wir zuvor verfallen sind. Wir können anfangen, das wirkliche Leben und das Gefühl des Seins zu genießen, anstatt uns dem leeren Gefühl der Artefakte und des materiellen Reichtums hinzugeben.

Wie finden wir den Weg zurück?

Dazu gehört wieder auf unsere eigene Intuition zu hören und nicht den Ratschlägen zu folgen, die uns aufzeigen wollen wie ein erfolgreiches Leben auszusehen hat. Das Wissen darüber ist in uns selbst und kein anderer Mensch kann uns sagen, was uns glücklich macht. Als Kinder besitzen wir dieses Selbstvertrauen und verlieren es leider auf dem Weg durch ein Bildungssystem, das Fakten über Werte und Mengen über Qualitäten priorisiert. Stattdessen ist es notwendig, Intuition, Vorstellungskraft, Weisheit, Spiritualität, Holismus und das Grundwissen über die gegenseitige Verbindung und Vernetzung aller Dinge aufrechtzuerhalten und zu fördern.(6)

Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet. Er hat sich in eine Gebrauchsware verwandelt und erlebt seine Lebenskräfte als Kapitalanlage, die ihm unter den jeweils gegebenen Marktbedingungen den größtmöglichen Profit einzubringen hat.“ -Erich Fromm (7)

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1 „Die Kunst des Liebens“, Erich Fromm, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich: Manesse Verlag, 2000, S. 16

2 „The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York, 2002, p. 25

3 „The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York, 2002, p. 32

4 „What is the Best Dose of Nature and Green Exercise for Improving Mental Health? A Multi-Study Analysis“, Jo Barton, Jules Pretty, Environ. Sci. Technol. 2010, 44, 10, 3947–3955, Publication Date: March 25, 2010

5 „The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York, 2002, p. 24

6 „Re-education the Person“, K. Blincoe, „The Handbook of Sustainability Literacy“, University of Brighton, http://arts.brighton.ac.uk/stibbe-handbook-of-sustainability

7 „Die Kunst des Liebens“, Erich Fromm, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich: Manesse Verlag, 2000, S. 116

Fotos: Titelbild + Bild 2 = Daniel Pelka | Bild 3 = Alana Zubritz

 

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