ÜBER UNSER EGO
Die Individuen in unserer Gesellschaft leben in völliger Freiheit. Wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten. Jede Person kann ihr eigens Leben erschaffen wie sie will: studieren, arbeiten, was auch immer, wann auch immer, wie auch immer und wo auch immer. Wir können aussteigen oder aufsteigen, die Welt entdecken oder zu Hause bleiben, führen oder folgen. Es hängt alles von unserem eigenen Willen ab, von der eigenen Schöpfung unser eigenes Leben. Ich, mich und mir. Es kann jedoch auch sehr anstrengend sein, für unser eigenes Schicksal verantwortlich zu sein. Weil diese unendlichen Möglichkeiten zu einem stark verschärften Wettbewerb zwischen den Individuen geführt haben.
»Das Zelebrieren der Menschlichkeit, durch die Verbindung zum heilenden Ausdruck der eigenen Beziehungen mit anderen und die wachsende Akzeptanz der eigenen Natur und Bedürfnisse, wird eindeutig zu großen Konfrontationen führen mit bestehenden Werten und Systemen. «
-Ivan Illich(1)
Die Anforderungen an uns selbst steigen: Wer eine gute Karriere anstrebt braucht einen hervorragenden Abschluss, Auslandserfahrungen, Erfahrung in verschiedenen Berufen, man muss fließend sein in mehreren Sprachen und dabei locker und entschlossen auftreten. Eine Vielzahl von jungen Alumni springen jahrelang von einem unbezahlten Praktikum zum anderen und das ist frustrierend, denn wir leben in einer Gesellschaft der Vorläufigkeit, die geprägt ist durch das unendliche sammeln von Erfahrungen. Da alles im ständigem Transit ist, haben immer mehr Menschen angst dauerhafte Verpflichtungen einzugehen. Wir entfernen uns nach und nach von dem Bedürfnis nach Sicherheit und Zuverlässigkeit, jetzt dreht sich alles um Flexibilität und Geschwindigkeit.
Soziologe Sven Hillenkamp beschreibt die „freien Menschen“ als Menschen ohne Attribute, ohne Geschichte und ohne Beziehungen.
Sie legen sich nicht mehr dauerhaft fest, sie sagen nicht »Ich bin ein Lehrer«, sondern »im Moment unterrichte ich«, nicht »ich bin ein Hamburger«, sondern »jetzt lebe ich in Hamburg«, nicht »das ist mein_e Partner_in«, aber »das ist mein_e aktuelle_r Partner_in«. Der Grund dafür ist laut Hillenkamp, die absolute Freiheit und Unendlichkeit der Auswahlmöglichkeiten und der Druck ständig Entscheidungen treffen zu müssen. Dies führt dazu, dass sich der Mensch mehr auf Rationalität verlässt als auf Emotionen bei Entscheidungen. Wir fühlen nicht was wir wollen, wir rechtfertigen es. Wir glauben nicht ans Schicksal und wir können uns ihm nicht ergeben, aber wir kennen unsere Bedürfnisse.2 Ein solches Verhalten fördert einen starken Egoismus. Ich bin alleine mit meiner Entscheidungsfindung, weil Ich allein verantwortlich bin für mein Schicksal.
Ein weiterer Grund für unser vorsichtiges und rationales Verhalten ist die Beschleunigung. Aufgrund erhöhter Mobilität und revolutionärer Kommunikationsgeräte haben wir die Geschwindigkeit unseres Lebens immens erhöht. Wir sind überall zu Jederzeit und wir müssen auf alles schnell reagieren. Die Geschwindigkeit der Informationen, die wir über das Internet erhalten ist gefährlich und lässt nur wenig Zeit, um über Entscheidungen oder Meinungen nachzudenken oder sie in Frage zu stellen. Aus bedeutungsvollen Gesprächen sind kurze Nachrichten geworden, der direkte Kontakt wird durch Kommunikationsplattformen und digitale Netzwerke ersetzt. Die Internetrevolution hat erstaunliche Vorteile, aber auch massive Nachteile. Vor allem in Bezug auf reale soziale Kontakte. Wir haben unsere Kommunikation auf ein sehr niedriges Niveau reduziert und uns angefangen vor sozialen Situationen zu verstecken, in denen wir nicht entscheiden können wem und wie lange wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Der Soziologe und Technologieexperte Sherry Turkle erklärt, dass wir die Fähigkeit verlieren, auf die kleinen langweiligen Momente mit Freunden zu achten, die normalerweise zeigen, dass wir zueinander gehören. Darüber hinaus glauben viele Menschen, dass sie nur dann relevante Gedanken haben, wenn sie sie sofort mit hunderten von Freund_innen kommunizieren: Ich teile, deshalb bin ich.
Psychologen erachten mittlerweile die Sucht nach ständiger Mitteilung der persönlichen Emotionen und Gedanken als narzisstische Persönlichkeitsstörung.3
Was wir also vor nicht allzu langer Zeit verloren haben, müssen wir wieder finden: Echte und tiefe Gespräche mit unseren Freunden, echte Kommunikation und Zugehörigkeit durch Zusammensein in schlechten und in guten Zeiten. Daher ist das Ausschalten unserer Mobilgeräte von Zeit zu Zeit, beispielsweise bei wenn wir mit Freunden und Familie zusammen sind, oder abends bevor wir uns schlafen legen, bereits ein großer Beitrag um mehr Aufmerksamkeit, Ruhe und bessere Kommunikation zu fördern. Ein weiterer Punkt ist es zu lernen, wie man sich angemessen konzentriert. Sobald wir anfangen uns selbst zu beobachten, können wir feststellen wie lange (oder kurz) wir tatsächlich in der Lage sind uns auf etwas zu konzentrieren: ein Gespräch, ein Vortrag oder ein Buch. Wir werden überrascht sein, wie kurz unsere Konzentrationsspanne ist. Laut verschiedenen Studien beträgt die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne etwa 10 Minuten. Sich zu konzentrieren bedeutet, einer Aufgabe oder einem Thema alle Aufmerksamkeit zu schenken, im Hier und Jetzt zu sein und nicht in Gedanken abzuschweifen. Denn was sind Gedanken? Das ist unser Ego, das uns permanent etwas mitteilen will, beurteilt, verurteilt oder plant. Es fällt uns schwer unseren Geist ganz der Gegenwart zu widmen. Noch schwieriger ist es, allein zu sein mit sich selbst und nichts zu tun. Das ist genau das, was Meditation versucht uns zu lehren, das Sein im Jetzt.
Es ist die Hingabe für den Moment die wir erreichen müssen, um inneren Frieden und Freiheit zu finden.
Trotz allem ist die digitale Entwicklung nicht allein dafür verantwortlich, dass eine ganze Kultur unter Aufmerksamkeitsstörung leidet,4 Konsumismus und passive Unterhaltung gehören ebenfalls dazu. Erich Fromm beschrieb bereits in den 1960er Jahren eine Kultur, in der Geduld, Selbstdisziplin und Konzentration selten sind, was seiner Meinung nach zu einem unkontrollierten Geisteszustand führt. »Ganz im Gegenteil führt unsere Kultur zu einer unkonzentrierten, zerstreuten Lebensweise, für die es kaum eine Parallele gibt. Man tut vielerlei gleichzeitig. Zu gleicher Zeit liest man, hört man Radio, redet, raucht, ißt und trinkt. Wir sind die Konsumenten mit dem stets geöffneten Mund, begierig und bereit, alles zu verschlingen – Bilder, Schnaps und Wissen.«5 Die Zeit der Corona-Pandemie hat vielen Menschen genau das gebracht, im Lockdown waren sie plötzlich gezwungen sich mit sich selbst zu beschäftigen. Zwar ist soziale Isolation nicht zwingend der Weg zu einem ruhigeren Geist, allerdings haben in dieser Zeit viele Menschen zum ersten mal Raum gefunden um sich mehr mit sich selbst und dem eigenen Geist zu befassen. Ich rate den Menschen ihr zu Hause ab und an wie ein Ashram wahrzunehmen und diese Praxis beizubehalten sich nicht erneut der ständigen Ablenkung und der Beschleunigung hinzugeben.
Aufgrund der erhöhten Geschwindigkeit unserer künstlich geschaffenen Umgebung neigen wir dazu, uns gleichzeitig an die Geschwindigkeit anzupassen mit unserem Handeln und Sein. Zeit ist Geld, aber Zeit ist auch sein. Deshalb nehmen wir an, dass je mehr Dinge wir gleichzeitig tun, je schneller wir kommunizieren, desto mehr Zeit gewinnen wir. Dann wiederum füllen wir die gewonnene Zeit mit Zeitverschwendung und rennen dem nächsten attraktiven Abenteuer hinterher. Wir füllen unser Sein mit kontinuierlichen zeitabhängigen Aktivitäten. Wir nehmen uns keinen Moment, um einzuatmen, still zu sitzen, sich zu konzentrieren und auszuatmen.
Dieser kontinuierliche Zyklus zeitabhängiger Aktivitäten ist auch der Grund für unser persönliches Gefühl der Beschleunigung.
Bin ich es oder ist es die Zeit, die immer schneller wird? In der Tat ist es unsere persönliche Wahrnehmung der Zeit, die sich von Kultur zu Kultur unterscheidet, in unsere soziale Strukturen eingebettet. Je komplexer die sozialen Strukturen einer Gesellschaft sind, desto höher ist ihre Geschwindigkeit, weil wir Zeit als Struktur von zeitabhängigen Aktivitäten wahrnehmen. Wenn ich zum Beispiel von 9 bis 18 Uhr arbeite, dann habe ich nur ein kleines Zeitfenster für andere Aktivitäten, also muss ich meine Aktivitäten gut strukturieren, kleinere Dinge dazwischen legen oder gleichzeitig machen, und so entwickelt sich ein geschlossener Aktivitätszyklus, indem wir die ganze Zeit „beschäftigt“ sind und das beschleunigt unsere Wahrnehmung von der Zeit. Zusätzlich beginnen wir, die Zeit stark überzubewerten. Diejenigen, die eine beschleunigte Wahrnehmung der Zeit haben, sind sehr empfindlich gegenüber Wartezeiten, das Eilen ist dann so in ihnen eingebunden, dass Warten zur Folter wird. Verlorene Zeit, kostbare Zeit und am entscheidendsten: Verlorene Geduld. Der moderne Mensch beginnt dann am Telefon herumzuspielen, E-Mails, Benachrichtigungen, Ereignisse abrufen. Mehr Informationen um diese Lücke zu füllen.
Dies verursacht eine moderne, gefährliche und sehr häufige Krankheit unserer Gesellschaft: Stress.
Um nicht in kontinuierlichen Zeitzyklen gefangen zu sein, müssen wir lernen auszusteigen. Lerne also geduldig zu sein, nimm dir mehr Zeit für alles und widme dich dem Moment. Erzwinge die Dinge nicht und lasse sie kommen wie sie sind, vertraue deiner Intuition und deinen Gefühlen, du wirst richtig liegen. Zuletzt widme dich ganz den Dingen und lerne eine Beobachterposition einzunehmen.
»Anstatt die Geschwindigkeit unseres Geschwätzes zu erhöhen, müssen wir lernen, aufmerksamer zuzuhören. Anstatt die Lautstärke unserer Konversation zu erhöhen, sollten wir den Inhalt verbessern. Anstatt weitreichender zu kommunizieren, sollten wir uns intensiver mit unseren Nachbarn unterhalten, ohne die Hilfe der Technologie. « -David Orr (6)
Und weiter?
Wenn du dich auch nach Entschleunigung, Ruhe und Glück sehnst, dann schaue Dir mein Seminar „Striving for Happiness“ an. Darin geht es genau darum: Was macht uns Glücklich? Dieses Thema ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Forschungsarbeiten und beschäftigt mich seit über 10 Jahren. Zu erst bin ich auf das Thema Glück und Entschleunigen während meiner Bachelorarbeit gestossen, ich habe einen Meditaionsraum zum mitnehmen gestaltet und mich viel mit mit Entschleunigung beschäftigt. Durch meine Arbeit als Freelancerin in der Werbebranche habe ich angefangen mediale Manipulation wahrzunehmen. In meiner Masterarbeit habe ich mich deshalb der Beeinflussung von Massen mithilfe von Werbung und Medien gewidmet. Ich wollte eigentlich verstehen wie man diese auch für eine Transformation zu Nachhaltigkeit einsetzten kann und bin dabei auf die Ursachen unseres destruktiven Handels gegenüber uns selbst gestossen. In meinem Leben habe ich immer wieder selber unter Depressionen und tiefer Unzufriedenheit gelitten, vor einigen Jahren habe ich angefangen in mir aufzuräumen und mich so aus meiner Frustration befreit.
Ich teile mein Wissen gerne mit dir und gebe dir einen konkreten Fahrplan für deine Reise zum Glück.
1„Celebration of Awareness: A call for Institutional Revolution, I. Illich, Penguin, Harmondsworth, 1976, p. 19)
2„Das Ende der Liebe: Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit“, S. Hillenkamp, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2010)
3„Schwer in Aufruhr“, Interview T. Schulz mit S. Turkle, Der Spiegel, 27/2012, Spiegel Verlag, Hamburg)
4„The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York, 2002, p. 72)
5Erich Fromm, „Die Kunst des Liebens: Ein anregender und nachdenklicher Blick auf Theorie und Praxis der Liebe“, S. 147
6„The Nature of Design: Ecology, Culture, and Human Intentions“, D. W. Orr, Oxford University Press, New York,2002, p. 42